84 WAHRHEIT „Der Geist der Wahrheit und der Geist der Freiheit sind die Stützen unserer Gesellschaft.“ Henrik Ibsen Und schon naht die nächste unangeneh- me Erkenntnis: Wissen ist immer nur vor- läufig und prinzipiell revidierbar. Die Er- wartung, dass Wissenschaft immer ein- deutige und ewig gültige Wahrheiten lie- fern soll, entspringt einer nachvollzieh- baren Sehnsucht nach Gewissheiten – ist aber leider völlig absurd. Jeder Erkennt- nisgewinn muss in den aktuell gültigen Wissenskanon einfließen. Unabhängige, evidenzbasierte Wissenschaft ermittelt Grundprinzipien, Gesetzmäßigkeiten und Wahrscheinlichkeiten, aber keine Wahr- heiten. Entscheidend ist, dass die Er- kenntnisse nachprüfbar sind. Das macht die Wissenschaft zum mit Abstand bes- ten Ratgeber, den wir haben – die Heraus- forderung ist, ihre Erkenntnisse in sinn- volle und nachvollziehbare Handlungs- anleitungen zu übersetzen. Das ist ei- gentlich die Aufgabe der Politik. Dazu be- darf es integrer, versierter Menschen, die vom Volke in freien, geheimen und unab- hängigen Wahlen dazu bestimmt werden, das Land zu regieren. Das wiederum setzt voraus, dass Bürgerinnen und Bürger fundierte Entscheidungen treffen kön- nen. Dazu brauchen sie valide, verlässli- che Grundlagen. Die Wahrheit ist: Eine Demokratie hat nur dann Bestand, wenn die darin lebenden Menschen in der Lage sind, auf Basis verlässlicher Informatio- nen reflektierte Entscheidungen zu tref- fen. Das Konzept einer nachweisbaren und überprüfbaren Wahrheit ist damit die unabdingbare Vo-raussetzung für eine Demokratie! Da wären wir nun also wieder bei der ein- gangs getroffenen Aussage: Der Bedeu- tungsverlust der Wahrheit bedroht unser friedvolles Miteinander, letztlich sogar unsere Demokratie. Was also können wir tun? Ein erster Schritt ist schon gemacht: Da Sie diesen Text bis hierher gelesen ha- ben, sind Ihnen einige der manipulativen Störmanöver, für die wir als soziale We- sen grundsätzlich empfänglich sind, sehr präsent. Damit sind Sie jetzt zwar nicht immun, aber sicherlich sensibilisiert ge- genüber möglicher Manipulation. Viel- leicht entschließen Sie sich zudem, der Wahrheit wieder zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen und machen auch andere da- rauf aufmerksam, wie gefährlich es ist, zweifelhafte Aussagen ungeprüft weiter- zugeben. Falschmeldungen und auch Verschwörungserzählungen sind davon abhängig, dass sie von möglichst vielen Menschen geglaubt und weitergegeben werden. Geschieht dies nicht, verpuffen sie wirkungslos wie ein klassischer Blind- gänger. Wir alle sollten bei irritierenden Botschaften die Quellen prüfen: Woher GUT ZU WISSEN Wahrheit oder Pflicht(lektüre) Nix da, Pflicht. Aber wer freiwillig noch tiefer einsteigen will, findet hier recht aufschlussreiche Abgründe … Brodnig, Ingrid: Einspruch! Dobelli, Rolf: Die Kunst des klaren Denkens Erlinger, Rainer: Warum die Wahrheit sagen? Gess, Nicola: Halbwahrheiten. Zur Manipulation der Wirklichkeit Kahneman, Daniel: Schnelles Denken, langsames Denken Nocun, Katharina und Lamberty, Pia: Fake Facts Pomerantsev, Peter: Das ist keine Propaganda Spiekermann, Sarah: Digitale Ethik Snyder, Timothy: Über Tyrannei VOELMYs WOHNEN IST ANSICHTSSACHE kommt die Nachricht, wer ist der Urhe- ber, ist die Quelle seriös? Bewährt hat sich auch die Frage „cui bono?“ – wem nützt es, wer profitiert davon? Falschmeldun- gen werden oft mit konkreten Absichten gestreut: um Rassismus, Frauenfeind- lichkeit oder Judenhass zu schüren, um Menschen zu verunsichern, Gesellschaf- ten zu spalten oder gar Kriege anzuzet- teln. Ist ein Profiteur identifiziert, lässt sich oft zugleich seine manipulative Stra- tegie enttarnen. Wir alle sollten aufmerksam sein, dubiose Botschaften hinterfragen, Zweifel benen- nen beziehungsweise bei eindeutigen Fake News höflich, aber deutlich wider- sprechen. Dabei ist es gar nicht immer nötig, das Gegenteil beweisen zu können, oft reicht es, wenn wir auf die fehlende Sinnhaftigkeit oder die unlogische Her- leitung von Schein-Fakten hinweisen. All das ist weniger kompliziert als es klingt und wird zudem leichter, je öfter wir es praktizieren. Wir schulen unser Bewusst- sein und werden immer weniger anfällig für Manipulation. Je mehr Sicherheit wir in der Identifikation von Fehlinformatio- nen gewinnen, desto besser können wir andere auf diesem Weg mitnehmen. Al- len voran Kinder und Jugendliche, denen wir in der Schule, zu Hause, einfach über- all von klein auf unermüdlich die Vorzü- ge des eigenständigen, kritischen Den- kens vermitteln sollten. Unser Verstand ist unser stärkster Verbündeter – darin liegt eine echte Chance! ‹ Ehrlich währt am längsten! Unglaublich wahre Volksweisheit